Ghosting Reloaded

Kürzlich hatte ich einen faszinierenden Austausch mit Dr. Claus Henrich Bender über das Phänomen des Ghostings.

Die neue Welt des lautlosen Entfernens von Kontakten wirft die Frage auf, ob man nicht auch ein Recht darauf hat zu erfahren, warum man rausgeflogen ist.

Ich überlegte hin und her und erinnerte mich an einen Vortrag eines Soziologen, der mit Verwunderung festgestellt hatte, dass Menschen in strengen religiösen Gemeinschaften diese selten verlassen, selbst dann nicht, wenn sie die Glaubenssätze für Mumpitz halten. Wie lässt sich das erklären?

Die kurze Antwort: difficult in, diffcult out.

Erstens: Die Mitgliedschaft erforderte einen Tribut. Man musste seine Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen. Und was einen hohen Preis hat, gibt man nicht leichtfertig auf.

Zweitens: Auch die anderen Mitglieder haben einen hohen Eintrittspreis bezahlt und ihre Loyalität bewiesen. Man kann sich auf sie verlassen. Sie sind für einen da. Und das ist viel wert.

Social Media ist das exakte Gegenteil. Eine Vernetzung erfordert nur zwei Klicks, und schon sind wir „Freunde“, ganz umsonst. Weder musste sich der andere beweisen noch ich selbst. Aber was keinen Preis hat, hat auch keinen Wert.

Wenn diese Annahme stimmt, dann wäre es seltsam, dass ich vor dem Trennungsklick noch viele Erklärungen liefern müsste. Die habe ich am Anfang doch auch nicht gemacht. Mit einem Klick verbindet man sich; mit einem zweiten trennt man sich, weil man sich nichts schuldig ist.

Kurz: easy in, easy out.

Sollten wir unsere Diskussion womöglich nicht beim Ghosting beginnen lassen, sondern damit, wie sündhaft preiswert wir uns vernetzen?

Das ist meine Theorie. Sie beansprucht nicht, das Phänomen in Gänze zu erklären, und jeder ist eingeladen, sie zu kritisieren – dafür sind Theorien ja da.

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