Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit

Armand Abécassis werde ich nicht so leicht vergessen.

Im Jahr 1999 studierte ich in Bordeaux. Schon damals fiel mir seine markante Stirn mit den tiefen Falten auf. Rabbi. Professor in Straßburg und Bordeaux. Ein Experte für Lévinas wie kaum ein anderer.

Es ist nun 25 Jahre her, seit er eine Aussage getroffen hat, die ich merkwürdigerweise nicht vergessen konnte. In Vorlesungen vergessen wir normalerweise so ziemlich alles, was gesagt wird.

Er sprach über Toleranz als Ziel, um Konflikte zwischen Menschen zu verhindern und letztendlich auch Kriege zu vermeiden. Und dann kam sein schockierendes Urteil, eine Art Prophezeiung, in einem Nebensatz: „… nur um einen noch größeren Krieg zu entfachen.“

Dieser Nebensatz begleitete mich, ohne dass ich ihn wirklich verstand, weil er so widernatürlich erschien. Erst heute wurde mir klar, was er damit vielleicht gemeint haben könnte.

Als ich mir das neue Video von maiLab ansah, in dem darüber geklagt wurde, dass die zunehmenden Konflikte in der Gesellschaft daher rühren, dass es bald keine „kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ mehr gibt, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Bähm!

Da waren Abécassis‘ Worte wieder. Wir haben zugelassen, dass jeder in seiner „persönlichen Wahrheit“ lebt, um Konflikte zu vermeiden.

Nun haben wir den Salat. Es gibt kein übergreifendes Narrativ, auf das wir uns einigen können, und folglich können wir auch keine Lösung im Gespräch finden.

Ich habe auf dieses Problem keine Lösung anzubieten. Vielleicht hast du eine?

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