Am Sonntag las ich einen spannenden Beitrag von Laura Junge, die darüber berichtet, wie das ständige Posten und das Preisgeben der eigenen Privatsphäre irgendwann derart belastend wurden, dass sie die Reißleine zog.
Das erinnerte mich daran, dass ich damals, als Facebook die Welt eroberte, einen Artikel las, der das Phänomen Social Media provokant beschrieb. Die Dynamik der Plattform bestehe darin, dass etwa 10% Exhibitionisten ihr Inneres nach außen kehren, während etwa 90% Voyeure folgen. Der soziologische Scharfsinn hatte etwas Beschämendes, denn entweder waren wir die einen oder die anderen, wenn auch mit Schattierungen.
Wenn der Journalist recht hatte, dann könnte sich hinter dem Ruf nach mehr Authentizität auch der voyeuristische Wunsch nach mehr seelischer Nacktheit verbergen, nicht wahr? Aber wie könnte eine solche Dynamik aussehen? Ich stelle mir das so vor:
Du fängst an zu posten, und ein mäßiger Erfolg stellt sich ein. Dann enthüllst du einen Teil deiner Seele, indem du etwas von deinem Privatleben preisgibst, und plötzlich wirst du mit Likes belohnt. War doch gar nicht so schwer. Also zeigst du noch mehr von deiner Privatsphäre und begibst dich tiefer und tiefer in den Strudel von Privates für Likes. Aber der Pakt mit dem Teufel hat sein Kleingedrucktes, denn wer viele Follower hat, kann weder frei noch authentisch sein. Ein falscher Schritt und schon purzeln die Zahlen der Bewunderer und damit möglicherweise auch die Einnahmen.
Der Voyeurismus ist das Gegenstück, denn er will die Blöße des anderen, ohne sich selbst verwundbar zu machen. Und der Preis ist wahrlich billig: ein Like, ein Kommentar – unerkannt im Meer der Gesichtslosen.
Was meinst du: Hatte der Journalist mit seiner Unterteilung in Voyeure und Exhibitionisten recht?