Der rauchige Geschmack von Sinn

Roch schenkte nach.

Es war eine regnerische Nacht in München. Unsere Frauen schliefen bereits.

Vier Flaschen Whisky. Zwei Gläser. Roch, der sich wie “Rock” aussprach, hatte glasige Augen. Der Whisky-Kenner flüsterte manchmal halb erregt, dann wieder halb ehrfürchtig. Stets ernsthaft. So führte er mich in die geheime Welt des amberfarbenen Getränks ein.

Ohne Roch hätte ich wohl nie die Vielfalt der Geschmäcker von teurem Whisky entdeckt. Besonders diesen ätherischen Rauch auf der Zunge, der dich die Augen schließen lässt. Über besondere Genüsse stolpert man selten. Man wird eingeweiht.

So verhält es sich auch mit der Literatur.

Viele Jahre habe ich an der Unterhaltungsindustrie gelitten. Berieselt bis in die Sinnlosigkeit hinein. Wiederholungen von leeren Loops. Weil sie sich verkaufen.Ich aber wollte Sinntiefe. Und die Schönheit der Worte. Und beides gehört unverbrüchlich zusammen.

Ich wollte keiner Handlung hinterherhecheln. Einem spannungsgeladenen Page-Turner, der dich auf der letzten Seite verdursten lässt.

Also schmirgelte ich meine eigenen Werke. Tief sollten sie sein. Dir den Boden unter den Füßen nehmen. Kalligraphiert mit einer Ästhetik, die allein die Vokabeln der Erotik beschreiben.Sie alle sollen Pforten zu den großen Fragen der Menschheit aufstoßen. Sei es in meinen Weihnachtsgeschichten, der Unterwelt im Hades oder dem unvollendeten Kinderbuch “Peter Panwitz”.

Wer das nicht weiß, ist bereits auf Seite zehn enttäuscht. So wie teurer Whisky dem Uneingeweihten widerlich den Rachen hinabgleitet.Manchmal leide ich an der Moderne. An der Berieselungskultur. An den Dopaminketten dieser widerwärtigen Wiederholungen.

Dann wünsche ich mir ein neues Zeitalter herbei. Eines des Sinns. Das nicht von Ich und Individualität, von Selbst und Selbstverwirklichung faselt. Sondern von einer Tiefe gleich einer altgriechischen Tragödie. Und das eigene Leben wird zur Bühne, auf der sich der Mensch selbst transzendiert.

Also schreibe ich mir solch eine Zeit herbei. Schreibe ihr entgegen. Wenn uns irgendwann Bücher nicht unterhalten, sondern am Leben halten. Und jede Seite weht mit dem rauchigen Geschmack von Sinn und noch mehr Sinn.Wer das weiß, liest anders.

Es gibt Werke, die du zwar nach der letzten Seite schließt. Aber weil du mit dem Buch fertig bist, ist das Buch noch lange nicht fertig mit dir.

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