Descartes’ Dämon


Amy kam zu spät.

Der Stuhl neben mir quietschte. Professor John Bridge hob strafend die Augenbraue, und Amy warf ihm ein verlegenes Grinsen quer durch den Seminarraum. Sie litt unter schlechten Angewohnheiten.

“Worüber reden wir heute?” schob sie mir ein Flüstern zu.
“Dämonen.”
Sie erhob sich wieder.
“Wo willst du hin?”, fragte ich und zupfte sie am Ärmel.
“Ich bin im falschen Kurs.”
“Setz dich.”

“Cogito ergo sum” wurde ins Allgemeinwissen kolportiert. Die wenigsten wissen jedoch, dass diese formelhafte Gleichung die Antwort auf einen Dämon ist, nämlich Descartes’ Genius Malignus, der böse Geist – der große Täuscher.

Mit diesem Gedankenexperiment von 1641 in den “Meditationes de prima philosophia” beginnt der neuzeitliche Skeptizismus: der radikale Zweifel.

Was ist, wenn alle Sinneswahrnehmungen nur eine Illusion sind, und wir in Wirklichkeit ein schwimmendes Gehirn in einem Tank sind? Was würden wir über die Außenwelt wissen, wenn wir uns selbst nicht mehr trauen dürften?
Descartes’ unumstößliches “Ich denke, also bin ich” als Antwort auf den Zweifel wurde längst von anderen Philosophen widerlegt – so verdienen die ihr Professuren.

John stieß uns in den Abgrund, weil er den Zweifel noch radikaler gedacht hatte als Descartes selbst. Und Amy schwankte wie betrunken in seinem Gedankenexperiment.

Dass wir uns täuschen, ist bekannt. Jeder weiß das.
Doch Descartes’ böser Geist geht einen Schritt weiter: Er täuscht dich über dich selbst. Das zweifelnde Ich wird sich selbst zweifelhaft, wenn es das Produkt einer Täuschung sein könnte.

Sacken lassen.

John Bridge fragte: “Was ist, wenn die Stimme, die zweifelt, selbst eine Täuschung des Malignant Genius ist?”

Für eine Minute stürzten die Studenten in einen gedanklichen Abgrund. Was war, wenn der Zweifel selbst zweifelhaft wurde? Was, wenn die eigene Stimme im Kopf, das Ich, das spricht, auch nur eine Täuschung war, gebaut auf dem Treibsand der Synapsen.

Johns Ich war nicht nur eines, das sich täuschte, sondern das über sich selbst getäuscht wurde. Und das “cogito ergo sum” war in Wirklichkeit ein verführerisches Geflüster.

Amy antwortete: “Der Zweifel am Zweifel.”

Professor Bridge nickte mit einem Lächeln.

Das “Ich denke” ist kein Anker. Der wahre Halt im Strudel war die Vermutung, dass der Lügner immer lügt, der Täuscher stets täuscht, und zwar bis hinein in die Stimme deiner Gedanken. Das war der radikale Zweifel und der Beginn der Philosophie.

John entließ uns in eine unsichere Welt, aber mit dem Zweifel am eigenen Zweifel. Bis heute das einzige, dem ich wirklich vertraue.

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