1001 Nacht neu gedacht

Täglich einen Post. Täglich eine Geschichte.

Vor meinem inneren Auge erscheint Scheherazade, die Geschichtenerzählerin. Ihre Zunge benetzt ihre trockenen Lippen, während ihre Schritte vom Marmorboden zu den kunstvoll verzierten Säulen emporhallen, die den Dom wie das Himmelszelt tragen. Ein Zittern durchläuft sie, gefolgt von einem Beben. Um den Sultan wehen exotische Gewürze und der schwere Duft von Ölen.

Sie bleibt stehen, und eine goldene Lampe wirft ein warmes Licht auf sie. Die Diener schweigen wie die Wüste bei Nacht, aber ihre starren Augen fragen, ob die junge Frau auch dieses Mal mit dem Leben davonkommen wird. Allein eine Geschichte wird sie retten vor dem Schwert, das bereits viele Frauen zuvor enthauptet hat.

Die Rahmenhandlung von 1001 Nacht war mir bis kürzlich fremd geblieben, bis ich den Gedanken fand, dass wir alle wie Scheherazade sind und täglich um eine neue Geschichte ringen, um dem Tod durch die Sinnleere zu trotzen.

Wer jeden Tag sein Inneres erforscht, um hier einen Beitrag zu veröffentlichen, steht ihr näher, als er denkt. Ja, es geht um Sichtbarkeit und um das Geschäft. Und dennoch erfährt er oder sie die Last des Geschichtenschreibers am eigenen Leib.

Weitergesponnen kämpft jeder mit dem bösen Sultan, der den Tod durch die Sinnlosigkeit verkörpert, die als scharfe Klinge im Morgengrauen auf uns wartet. Doch wir halten dem hungrigen Loch der Sinnleere unsere Geschichten entgegen und wehren uns gegen das Schweigen der Wüste. Wir flüstern weiter und weiter für noch einen Tag mehr Leben.

Höre nicht auf zu erzählen und verrate uns deine Geschichten.

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