Glück? Nein danke!

Jeder wisse, was Glück sei, erklärte Nick. Mein Nachbar meinte damit ein Gefühl der Euphorie, seine Frau hingegen eines der Entspanntheit. Dann bekräftigten sie sich gegenseitig, ohne zu bemerken, dass beide Gemütszustände vom Blutkreislauf betrachtet das genaue Gegenteil darstellen. Beim ersten: Puls hundert und steigend; beim zweiten: sechzig und sinkend. Wenn das Glück tatsächlich nur die Euphorie oder die Entspanntheit bedeutet, dann kann der Duden das Wort auch streichen. Es fügt ja nichts Neues hinzu.

Was aber, wenn der Glückbegriff eine heimliche Wortzusammensetzung darstellt? Bei Kinder-garten, Vater-tag, Zeiten-wende ist das offenkundig: Da stecken zwei Nomen drin. Das Wort Glück aber hat nicht mal zwei Silben, ist also sehr tückisch. Womöglich gibt es einfache und komplexe Emotionen, und das Glück fällt unter letztere. Aber was verbirgt sich darin?

Antwort: Niemand weiß das so genau. Die Liste ist so lang wie unterschiedlich. Euphorie und Entspanntheit hatten wir ja schon, also legen wir noch Erfolg, Gesundheit, Aussehen, Sicherheit, Sinn und Freundschaften in den Einkaufswagen. Man wisse aber, dass je mehr der Wagen überquillt, desto geringer sind die Chancen das Glück zu erlangen. So diktiert es das Gesetz der Wahrscheinlichkeit.

Anders verhält es sich bei einfachen Emotionen. Über Schmerzen irre ich mich nicht, und die Freude der anderen ist unschwer ablesbar. Und Nicks Euphorie lässt sich mit einem Blutdruckmessgerät nachweisen, auch die Tiefenentspannung seiner Frau. Aber welchen Puls hätte das Glück? Alle zusammengesetzten Emotionen teilen das Schicksal der Unbestimmbarkeit.

Meinetwegen könnte man das Glück als Summenbegriff verwenden, indem man die Gesamtsituation als „ganz glücklich“, „recht glücklich“ oder „nicht unglücklich“ beschreibt. Allerdings wäre ein fünf Sterne Bewertungssystem wie bei Google und Amazon wesentlich genauer. So antwortete mir einmal ein Kunde auf meine Nachfrage nach seinem Befinden lakonisch: „Drei minus.“ Umgerechnet wären das 2,8 Sterne, und schon bräuchten wir den Glücksbegriff nicht mehr.

Die Werbung weiß sehr wohl, dass das Glück eine Zusammenwürfelung ist. Darum fragt sie uns, ob wir wirklich(!) glücklich sind und suggeriert uns, dass im komplexen Verbund aller Glücksinhalte einer fehle. Also kaufen wir doch die weißmachende Zahncreme und unterschreiben den Zweijahresvertrag mit dem Fitnessstudio – gehört ja zum Glück dazu.

Unter der Lupe betrachtet entpuppt sich der Glücksbegriff als Verschachtelung. Deswegen mache ich einen Bogen um ihn. Selbstverständlich hat jeder das Recht diverse Seelenzustände in einem einzigen Wort zusammenzuwerfen. Aber wozu sollte das gut sein? Wäre es nicht besser, sich im Leben auf zwei oder maximal drei einfache Emotionen zu beschränken? Zum Beispiel ein wenig Frieden, gesalzen mit gelegentlicher Freude. Und das Beste dabei: Beide lassen sich an der eigenen Schlagader messen.

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