80 Sommer

80 Sommer


Die Zeit fließt anders hier in Hahnenklee. Einem Dorf auf einem Berg.

Ich bin noch nicht einmal 24 Stunden hier. Und irgendwie fühlt es sich an wie bereits drei Tage. Als wäre Zeit keine feste Größe. Die Uhr an der Wand sagt: “tick-tock, tick-tock”. Während ich das hier tippe, klingt das wie gelogen.

Alles ging gestern schnell. Kohle, Grillfleisch, Bier. Und da saßen wir drei Nachbarn gleichen Alters im Garten.

Entweder war es das Bier oder der Wald. Oder beides. Dann wurde Sven, der Steuerberater, zum Dichter. Sein Klient hatte ihn gefragt, wie er sein Geld anlegen sollte. Doch ganz egal, hatte er ihm geantwortet. Du hast nämlich nur 80 Sommer auf dieser Welt. An die ersten drei kannst du dich nicht erinnern. Svens Vater hatte nur 58. Minus drei.

Steuerlich kein guter Rat. Aber dennoch geballte Lebensweisheit. Fast schon poetisch. Und Manfred, der Reifenhändler, drehte die Musik lauter. Und wie Fünfzehnjährige fielen wir von einem Song in den nächsten. Die Stunde rannte, ohne zu verrennen. Und jedes Lied sang von 80 Sommern, und wir sangen mit.

Wäre ich Pastor, würde ich heute in der Stabkirche die gute Botschaft verkünden. Dass Zeit keine feste Größe ist. 1000 Nächte können wie eine einzige sein. Und eine einzige wie 1000.

Wäre ich Filmemacher, hätte ich die drei Männer nachts durch den Wald zum Kuttelbacher Teich geschickt. Mit Latschen an den Füßen und einem Bier in der Hand. Man lebt anders, wenn das Ticktocken verstummt. Irgendwie mutiger. Etwas verrückter. Und Manfred verliert seine Hose im Wasser. Auf dem Rückweg schleichen sie an einer Horde Wildschweine vorbei. Singend, lachend und vom Gestrüpp der Schleichpfade zerkratzt kehren sie heim. Manfred ohne Hose.

Am liebsten aber wäre ich Musiker. Damit überall der Song “80 Sommer” gespielt wird. Die Stimmen heben sich. Die Blicke treffen sich. Und der Bass übertönt das Ticktocken aller Uhren.

Manche Wahrheit wird nicht verstanden. Sie muss gefühlt werden. Und die Melodie trägt die Botschaft ins Herz. Lautstark am Verstand vorbei.
Ich weiß. Und du weißt. 80 Sommer. Minus drei. Die Wahrheit der Zeit.

Aber ich bin nur ein Blogger. Möge jemand einen Song der Herzen daraus komponieren. Gesungen, gefeiert, gegrölt.

Dass Zeit keine feste Größe ist.

Und dass die Tick-Tock-Uhren nur der blecherne Klang verlorener Stunden sind.

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